Odile Neri-Kaiser von Ars narrandi e.V. hat schon zum wiederholten Mal an unserer Schule für Erstaunen gesorgt.
„Wenn Worte wandern …
Mündlich erzählte Geschichten lassen die Welt zusammenrücken und verbinden die Menschen im Innersten. Unsere Projekte machen Begegnungen möglich, schaffen Nähe und Gemeinschaft und motivieren Menschen, einander zuzuhören und füreinander zu erzählen.“
Wie können wir Wissen über unsere Kultur erhalten und weitererzählen? Wie entwickeln wir ein tieferes Verständnis für die mündliche Erzähltradition, die vor allem auch in afrikanischen Ländern gepflegt wird? Wer erzählt uns die Geschichten, die uns unsere Familiengeschichte und Länderkultur näherbringt? Welchen großen Nutzen haben wir und unsere Eltern und Großeltern, wenn wir etwas über unsere Familie und Kultur erzählt bekommen? Was passiert, wenn diese mündliche Weitergabe der Familien und Kulturgeschichten zunehmend wegfällt?
Eingeladen hat Odile Neri-Kaiser den Theaterregisseur und Märchensammler aus Burkina Faso Thierry Queda, der in der Hauptstadt Quagadougou 2013 das Theater Soleil gegründet hat. Sein Ziel ist es, tradiertes Wissen zu bewahren und zu revitalisieren. Die Sammlung seiner Erzählungen und Märchen gehöre nicht ihm, sondern die Geschichten müssten reisen und von Menschen weitererzählt werden, um ihre Wirkung zu entfalten.
In seiner Arbeit als Schauspieler, Autor und Theaterregisseur ist es ihm ein großes Anliegen, die künstlerische Erziehung junger Menschen in den Schulen und Arbeitervierteln seiner Stadt zu fördern. Die Aktualität von Märchen und die damit verbundene Erzähltradition sei auch in seinem Land bedroht, sagt Queda. Sein Engagement gilt daher der Vermittlung der mündlichen Erzählkunst als vitalem Bestandteil kultureller und persönlicher Bildung auch im Hinblick auf zukünftige Generationen. In ihrer Wiederaufnahme, Aneignung und Entfaltung stiften tradierte Erzählungen und Märchen Identität, erweitern Familiengeschichten das Verständnis der eigenen Person und so eröffnen so neue Wege der Kommunikation.
Zu Gast am Ferdinand-Porsche-Gymnasium bei den Klassen 10 C und ihrer Lehrkraft Dagmar Mirbach und dem Geschichtsgrundkurs J 2 von Bettina Althoff hat Thierry Queda den Schülerinnen und Schülern einen Eindruck vermittelt, was das bedeutet.
Nach seinem herzlichen Dank für die Einladung hat er den Schülern und Schülerinnen zunächst Fragen zu seiner Person beantwortet und ihnen die Möglichkeit gegeben, Fragen zur Erzähltradition und zu besonderen Inhalten von Erzählungen seiner Heimat zu stellen. Unter anderen kam so die Frage auf Geschichten im Umgang mit Bäumen: Warum besitzen Bäume in der Kultur von Burkina Faso einen so hohen Stellenwert? Welche pädagogische Bedeutung besitzt die erzählerische Weitergabe von Baum-Geschichten? Wie können Bäume/ Märchen von Bäumen unsere Beziehung zur Natur (wieder)herstellen? Durch Thierry Quedas Beschreibungen im Dialog mit Odile Neri-Kaiser, die alles Gesagte ins Deutsche transponierte, konnten die Schülerinnen und Schüler dafür ein tieferes Verständnis entwickeln.
Um eine Geschichte/ ein Märchen erzählt zu bekommen, muss in Burkina Faso traditionell die Zuhörerschaft sich diese Geschichte zuerst durch die Lösung eines Rätsels verdienen. Was verschlingt uns abends und spuckt uns morgens wieder aus? Die Lösung des Rätsels, das Thierry Queda den Schülerinnen und Schülern aufgab, wurde nach intensivem Beratschlagen und Raten gefunden. Dann erst gab es zur Belohnung eine Erzählung – die Erzählung von einem Bauer, der aus Not seinen Esel verkaufen muss, dabei beinahe seine Frau verliert, und schließlich durch die in der Erfahrung gewonnene Klugheit alles zurückgewinnt. Die Nachfrage nach weiteren Rätseln und Geschichten ergab sich ganz von selbst. Was geht immer vorwärts, aber nie zurück? Die Belohnung war die Geschichte von den Zwillingen, die uns die Macht unserer Worte im Guten wie im Bösen vor Augen führte.
Noch ein Rätsel, und bitte noch eine Geschichte … viel zu schnell war die Zeit der Doppelstunde herum.
Was nehmen die Schülerinnen und Schüler mit aus dieser Begegnung?
Sie wollen es aufschreiben für den nächsten Unterricht, wir können gespannt sein …!
Auch uns Erwachsenen wird klar, wie bedeutsam das Erzählen und die Aufnahme von Erzählungen für uns und unsere persönliche Entwicklung ist. Welche Tradition gab es bei uns zuhause, wie wurde uns Familien- und Kulturgeschichte über mündlich erzählte Geschichten vermittelt? Welches Verständnis davon und unserer selbst wurde dabei entwickelt? Welcher Nutzen liegt darin und was geht verloren, wenn das Erzählen innerhalb von Familien und in der eigenen Kultur stattfindet oder nicht gepflegt und vergessen wird?
Wir bedanken uns ganz herzlich bei Odile Neri-Kaiser, die unermüdlich das Thema mündliche Erzählkunst aufgreift, um mit Ars narrandi e.V. durch lebendig erzählte Geschichten Begegnungen zu schaffen, um „gemeinsame und nachhaltige Zukunftsvisionen“ zu ermöglichen.
Wir hoffen sehr, dass wir die Schülerinnen und Schüler inspirieren konnten, in ihren Familien und bei ihren Eltern und Großeltern nachzufragen. Es gibt dort bestimmt viel zu erfahren.
Text und Bilder: Fr. Althoff und Fr. Mirbach